Beziehungen pflegen: Schwieriger oder leichter als vor Corona?

 

Beziehungen Corona leichter oder schwieriger
Corona hat Beziehungen auch gestärkt (stockphoto@unsplash).

Corona: Nicht nur ein Beziehungskiller

Wir alle sehnen uns nach erfüllenden Beziehungen, nach Nähe, Vertrauen und Zuversicht. Wir möchten uns austauschen, wollen verstanden werden. Kurzum, als soziale Wesen fühlen wir uns in der Regel am wohlsten, wenn wir unsere Erfahrungen mit anderen teilen können.  Und dann kam Corona: Social Distancing, eingefrorene Bilder, stockender Ton.  Plötzlich sahen wir uns gezwungen, unsere persönlichen Beziehungen auf eine sehr begrenzte Notbesetzung von Menschen herunterzufahren. Eine Katastrophe, die uns alle noch lange traumatisieren wird? Ja, schon auch, aber nicht nur!

Corona belebt nachbarschaftliche Beziehungen

Corona hat viel Unheil gebracht und tut es noch immer. Es kostet Menschenleben,  bereitet uns ernste finanzielle Sorgen und hat viele von uns in die Einsamkeit geführt. Das soll gar nicht kleingeredet werden.  Auch wenn einige von uns bislang medizinisch nur wenig Probleme gehabt haben, bemerken wir doch alle die Auswirkung der Pandemie auf den Umgang miteinander: Während der Lock-Downs hat sich der Kreis unserer Bekannten auf einen Schlag spürbar verkleinert. Eine Entwicklung, die so manche Beziehung bis zu dem Punkt hat erkalten lassen, dass wir sie abgebrochen haben. Doch neben den zahlreichen schlechten Nachrichten gibt es auch andere. Dazu gehört die positive Erfahrung, dass viele von uns jetzt einen besseren Kontakt zu unseren Nachbar*innen haben.

Kein Wunder. Da wir nun häufiger von Zuhause aus arbeiten, sehen wir unsere  Nachbar*innen  geradezu zwangsweise öfter.  Zudem haben wir in der Krise gelernt, wie wichtig Nachbarschaftshilfe sein kann, wenn man sich in Quarantäne befindet und von einem Tag auf den anderen nicht mehr einkaufen gehen kann. Das führt dazu, dass wir uns mit den Leuten von nebenan enger verbunden fühlen als vor der Krise.

Das Gespräch beim Fahradaufschließen wird länger, das Lächeln, mit dem wir uns begrüßen, breiter.

Corona füllt das leere Nest

Besonder hart hat das Social Distancing Familien mit schulpflichtigen Kindern getroffen. Gerade auch die Mütter sind vielerorts über alle Grenzen hinaus gefordert und nicht selten gnadenlos allein gelassen worden.  Doch auch in Familien ohne schulpflichtige Kinder gab es neue Entwicklungen. Da das Studieren in die virtuelle Welt ausgelagert wurde, kehrten unsere erwachsenen Kinder mitunter wieder nach Hause zurück, um Miete zu sparen.

Eine unerwartete Wendung im Familienleben. Das leere Nest füllt sich mit einmal wieder. Für einige von uns ein  wunderschönes Geschenk. Wir genießen es, noch ein wenig länger vom Famlienzusammenhalt zehren zu können. Für andere werden die üblichen Haushaltsstreitigkeiten jedoch zu einer sich scheinbar bis ins  Unendliche ausdehnenden Geduldsprobe. Für die meisten von uns trifft  beides zu. Wir empfinden die verlängerte Familienzeit  sowohl als schön als auch als anstrengend.

Corona kann gestandenen Freundschaften nichts anhaben

Soweit zu Nachbarn und Familie. Wie aber sieht es mit unseren Freundschaften aus? Auch hier haben wir alle vermutlich recht unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Dennoch scheint Konsens darüber zu bestehen, dass über Jahre gewachsene Freundschaften, die schon viel mitgemacht haben, auch vor Corona nicht eingeknickt sind. Im Gegenteil. Ist es nicht erstaunlich, mit wie viel Kreativität  wir neue Wege gefunden haben, um uns umeinander zu kümmern?

  •   Wie witzig, dass wir zu einer Gesellschaft von  Spaziergänger*innen mutiert sind. Und zwar bei jedem Wetter!
  • Auf einmal ist “Wichteln” in. Wir wollen gerade zur Arbeit fahren und stolpern dabei über kleine Geschenke, die plötzlich vor der Haustür liegen. Sogar im Frühjahr! Was für eine schöne Überraschung!
  • Kurze, pragmatische Zweck SMS werden mit einmal zu liebevoll ausformulierten, langen E-Mail-Schilderungen. Gar nicht zu sprechen von unseren Telefonaten … Sie werden immer länger und länger. Auf einmal verabreden wir uns sogar für Gespräche am Handy, welche mitunter ein- oder mehrstündige Treffen ersetzen!
  • Und irgendwann haben wir auch den Dreh herausbekommen, dass wir Videokonferenzen dazu nutzen können, Gesellschaftsspiele zu spielen oder uns mit einem Glas Sekt digital  zuzuprosten.

Na klar. Ein persönliches Treffen kann das alles nicht ersetzen. Dennoch ist es schön zu erfahren, dass es selbst unter wirklich miesen Bedingungen irgendwie immer weiter geht.

Corona ermöglicht neue Kontakte

Apropos digitale Medien – und ich spreche hier ausdrücklich nicht von Freundschaften, sondern von Kontakten: Während der Corona-Krise haben viele von uns die Social-Media-Kanäle mehr denn je genutzt.

Und so  haben wir uns auf Instagram, Twitter, Xing und LinkedIn mit neuen Menschen vernetzt. Sicher, das bindet viel Zeit,  aber es schafft auch nette neue Kontakte. Es macht Spaß,  über den Tellerrand zu schauen, sich von neuen Ideen inspirieren zu lassen, private Mails auszutauschen oder sogar zusammen neue berufliche Projekte aus der Wiege zu heben!

Hat Corona unsere Beziehungen verändert?

Es ist schwierig, ein Fazit zu ziehen. Vor allem, da wir die Corona-Krise noch immer nicht überwunden haben. Bereit für ein Zwischenfazit? Beides ist richtig! Corona  hat die Beziehungspflege sowohl erschwert als auch erleichtert!

Guten Beziehungen konnte Corona nichts anhaben, lose Kontakte zu Arbeitskolleg*innen, Sportpartner*innen und flüchtigen Bekannten haben gelitten.  Sobald wir nicht mehr an regelmäßigen Aktivitäten teilgenommen haben, kamen diese Art von Beziehungen in der Regel zum Erliegen. Oder vorsichtiger formuliert: “wurden in ein künstliches Koma versetzt.” Vorerst. Denn vermutlich lassen sich diese Kontakte auch wiederbeleben, sobald  wir die schlimmsten Covid-Auswirkungen überwunden haben werden.

Und wie sieht es dann mit den neuen Kontakten aus? Werden sie bestehen bleiben?  Das liegt an uns. Wenn wir sie so weiterpflegen, dass sie Wurzeln entwickeln, haben sie gute Überlebenschancen. Schalten wir aber eins zu eins in den  Vor-Corona-Modus zurück, werden wir unsere neuen Bekanntschaften schon bald wieder vergessen haben.

Oder?

Wie sehen Sie das? Ich freue mich auf Ihren Kommentar.

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2 Antworten auf „Beziehungen pflegen: Schwieriger oder leichter als vor Corona?“

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